Der Butz, ein uralter Heischebrauch
Aus dem Prattler Anzeiger der Jahre 1983 sowie 1989 von Emmy Honegger
Viele Einwohner Prattelns kennen ihn nicht und haben ihn noch nie gesehen. Ihn, den Butz, der am frühen Morgen des Fasnachtsmontags vom „Rumpel“ her ins Dorf ausfährt, um mittags wieder von der Strasse zu verschwinden. Dass dieser Heischebrauch, der bereits 1525 in der Region Basel und im Elsass bezeugt ist, und der 1525 für die Landschaft Basel ausdrücklich verboten worden war, dann aber wieder auflebte und heute, 1983, noch lebendig ist, verdanken wir zu einem guten Teil unserer Mitbürgerin Frau Susi Meyer-Dill. Sie war es, die, als der Butz auszusterben drohte, neue Impulse gab und die aufwendige Organisation übernahm. Pratteln ist heute die einzige Gemeinde, in der dieser Brauch überlebt hat.
Woher der Butz kommt
Der Butz ist seit frühester Zeit der Heische- oder Bettelzug der Prattler Jungmannschaft. Begleitet wurde dieser aus vielerlei Gestalten bestehende Zug von Hornbläsern. Butz und Hornbläser zusammen sollen den Rest eines uralten Totenbrauches darstellen, wie der verstorbene Basler Volkskundeprofessor Karl Meuli bereits 1927 festgehalten hat. Ferner wies Meuli darauf hin, dass der Name «Butz» in frühester Zeit einen Vermummten, den Geist eines Toten bezeichnet. Tatsächlich sitzt im mit Tannengrün und bunten Bändern bekränzten Wagen eine „vermummte“, weissgekleidete Gestalt, der Butz. Wir allerdings nennen ihn Bacchus, da er der Hüter des gesammelten Weines ist. Die früher zum Butz gehörenden Hornbläser haben sich vor Jahren verselbstständigt und pflegen heute das Hornblasen als Horngruppe „Hagenbächli“ weiter. In Alex Leupins „Heimatkunde von Pratteln“ wird der Butz mit dem Beginn des Arbeitsjahres der Weinbauern in Zusammenhang gebracht. An der Fasnacht werde dem Weingott (Bacchus) der Tribut entrichtet in der Hoffnung, dass er den Bauern wieder gnädig sein werde. Eine noch andere Theorie hegte der „Schang am Gatter“: Er schrieb vor fünfunddreissig Jahren im Prattler Anzeiger, dass der Bacchus eine „Hierarchie“ gewesen sei, die auf dieser sündigen Erde einen Stab Bediensteter haben musste. Im Laufe der Zeit mögen noch einige Theorien mehr aufgestellt und Meinungen über die Herkunft des Butz zum besten gegeben worden sein. Doch glaubhaft allein scheint die des Karl Meuli, der als Professor der Volkskunde seine Forschungen wissenschaftlich betrieb und dem auch Quellen zugänglich waren, die „Laienforschern“ verschlossen sind.
Der Butz
Früher wurde der Butz ausschliesslich von Burschen, die das Jahr zuvor konfirmiert worden waren oder von „Stäcklibuebe“ (stellungspflichtige Burschen) dargestellt. Um die Ehre, wer beim Butz mitmachen darf, gab es oft ein rechtes Gerangel. Der Butzwagen wurde in den damals noch zahlreich vorhandenen Scheunen im „Rumpel“ mit Tannenbäumchen und Zichorie Bändern hergerichtet. Mit dem Ruf „Dr Butz fahrt us“ fuhren sie am Morgen des Fasnachtsmontags ins Dorf.
Heute ist es ein wenig anders, wie wir von Susi Meyer erfahren haben, die 1971 in den Vorstand des VVPA gewählt worden war und die Verantwortung für den Butz übertragen bekam. In den ersten Jahren, als Frau Meyer die Organisation an die Hand nahm, hatte sie oft Schwierigkeiten, Burschen für den Butz zu finden. Heute ist es wieder etwas besser. Allerdings sind die „Bützler“ jünger geworden. Oft sind es Schüler, die mitmachen. Auch der Leiterwagen wird nicht mehr im „Rumpel“ hergerichtet, sondern bei Meyers an der Hauptstrasse 82. In aller Herrgottsfrühe am Fasnachtsmontag versammeln sich dort die „Bützler“, die meist direkt von der Feuerwache beim Fasnachtsfeuer kommen. Sie „vermummen“ sich, geniessen den von Susi Meyer servierten Kaffee und das Selbstgebackene und ziehen gegen sieben Uhr Richtung Rumpel, von wo der Butz tradtionsgemäss ausfährt. Mit Glockengebimmel und „tütle“ kündet der Bacchus seinen Zug an.
Die Figuren
Da wäre die wichtigste Figur, der Butz oder der Bacchus. Er thront mit grosser Leibesfülle und in eine weisse „Chutte“ gehüllt im Wagen. Mit Argusaugen wacht er über das Weinfass (früher waren es deren zwei), das der Küfer füllt. Der Küfer gilt als treuester Kumpan des „Weingottes“ und trägt, wie es sich für einen Küfer geziemt, eine Lederschürze. Als Symbol seines Berufsstandes schwingt er in der Hand den Küferhammer und in der anderen die kupferne „Stietze“, mit der er den Wein zusammenbettelt. Die volle Kanne entleert er, sofern er überhaupt noch offenen Wein erhält, ins Weinfass auf dem Wagen. Diesen zusammengeschütteten nennt man „Bützeler“. Sehr wahrscheinlich stammt der Begriff „Bützeler“ für gepanschten Wein eben vom Butz. Zu diesen beiden Figuren gesellen sich der Fuhrmann, der lustig mit seiner Geissel die zweibeinigen Pferdchen (vier bis sechs an der Zahl) antreibt, der Tännlibueb, der Blätzlibueb und der Chärtlibueb. Ihre Namen stimmen mit ihren Kostümen überein. Der Tännlibueb trägt ein Kleid aus kleinen Tannästchen, auf dem Überkleide des Blätzlibuaben sind lauter kleine bunte Plätzchen aufgenäht und das Kleid des Chärtlibueben besteht aus aufgenähten Jasskarten. In frühester Zeit trugen die beiden letzteren vermutlich Felle und symbolisierten den „Wilden Mann“. Dass die Tannästchen des Tännlibuebe-Kleides heute aus Plastik sind, hat seinen Grund darin, dass die „Bützler“ sich weigern, die Tannästchen selbst auf das Oberkleid aufzunähen, wie es früher Brauch war. In den ersten Jahren ihrer Verantwortung nähte Susi Meyer, unterstützt von einigen Frauen aus dem VVPA, dieses Kleid. Als Symbolfiguren, sie verkörpern den Kreislauf der Natur, sind sie mit den Begleitgestalten des Basler „Vogel Gryff“ vergleichbar. Die drei „Bueben“ sind mit der Sammelbüchse unterwegs. Eine ulkige Figur ist der Doktor Eisenbart oder auch „Säupeter“ genannt. Dieser Wunder-Doktor trägt Frack, Zylinder und Gamaschen. Vor seinem Bauch schleppt er eine ganze Apotheke mit und auf seinem Rücken baumelt ein Plakat auf dem zu lesen steht.
Ich bin der Doktor Eisenbart
Kurier die Leut nach meiner Art
Kann machen, dass die Lahmen sehn
und die Blinden wieder gehn.
Schliesslich wären noch das Eierwybli oder „Jümpferli“ und der Tell zu nennen. Der Tell ist mit einer weissen Sennenbluse und „Holzböde“ bekleidet und trägt eine Armbrust, wie es sich für den Tell gehört. Das Eierwybli trägt am Arm ein Eierkörbchen, in dem die erheischten Eier sorgfältig versorgt werden. Das Eierwybli sei des Landvogts Gessler Frau gewesen, meinte der genannte „Schang am Gatter“. Als Sühne für die Ausbeutung des Volkes, an der auch sie beteiligt gewesen sei, müsse sie nun zusammen mit dem Tell für arme und kranke Leute Eier betteln gehen. Wie diese beiden Figuren allerdings zum Butzzug kamen, kann auch der gute Schang nicht sagen. Sehr wahrscheinlich handelt es sich bei diesen Figuren um Schöpfungen des 19. Jahrhunderts und sind Konzessionen an die vaterländische Romantik. Nach einer anderen Version sollen Jümpferli und Tell aus dem Fricktal stammen und den Frühling verkörpern.
All die Kostüme richtete Susi Meyer 1971 wieder her oder sie wurden neu genäht, wie zum Beispiel das Kleid des Eierwybli, das Emmi Hartmann geschneidert hat. Fehlendes wurde ergänzt, so dass die Kostüme heute wieder komplett sind. Dass ja nichts davon verloren geht, darüber wacht Frau Meyer, die die Maskierungen reinigt, flickt und zum nächsten Jahr sorgsam aufbewahrt.
Früher kannte man übrigens noch den „Schnägglibueb“. Doch diese altertümliche und archaische Gestalt wird Ieider schon seit Jahrzehnten weggelassen. Vermutlich war der Aufwand für die Herstellung des Kleides (es war über und über mit Schneckenhäuschen benäht) zu gross.
Gegen ein Uhr mittags kehrt der Butz von seiner Betteltour zurück und lässt sich von Susi Meyer den Eiertätsch zubereiten. Dabei geht es heute, angesichts des Alters der Butzen, harmlos zu und her. Früher soll es anders gewesen sein, wie man so erzählen hört. Die Histörchen rund um den Butz würden Bücher füllen. Zurück zum Eiertätsch: Nach dem Eierschmaus werden die Gaben (Wein und Geld) gerecht unter allen Mitmachenden geteilt. Früher verhalfen die Butzbatzen der Jungmannschaft zu tollen Fasnachtstagen.
Der Butz 1989
Um den Butz-Brauch weiterhin lebendig zu erhalten und um ihn der Prattler Bevölkerung wieder bewusst zu machen, präsentiert sich der Butz bereits am Fasnachtssonntag. Er wird Bestandteil des Fastnachtsumzuges sein. Am Fasnachtsmontag wird er seine Tour durch den Dorfkern unterbrechen und sich für ca. eine halbe Stunde auf dem Dorfplatz aufhalten. Dann haben wir Gelegenheit, den Butz näher kennen zu lernen. Übrigens: Der Butzzug ist auch in Form von wunderschönen Keramikfiguren von Lotti Althaus im Museum im Bürgerhaus dargestellt. Bestimmt werden sich die Butzen und deren Betreuer (Susi Meyer, die für die Kostüme und für die Betreuung des Butz vor und nach dem Butz-Umzug verantwortlich zeichnet, und Heinz Strub, der den Zug auf seinem Dorfumgang betreut) sehr freuen, wenn recht viele Prattler, und natürlich auch Auswärtige, am Morgen des Fasnachtsmontags den Weg auf den Dorfplatz finden werden. Besonders aber würden sich die Butzen freuen, wenn recht viele. Leute den Spruch am Wagen beherzigen würden, der da lautet:
Wie alt bekannt, so soll der Butz,
auch dieses Jahr haben einen Sprutz.
Drum sind die Leute sehr gebeten,
nur einen guten Schluck zu geben
und wer kein solchen hat,
der gibt halt Rapp, Rapp, Rapp.
Dankeschön
Mit dem Butz 1989 werden sich Susi Meyer und Heinz Strub von «ihrem» Butz verabschieden und die wahrlich nicht leichte Aufgabe der Betreuung und Organisation in jüngere Hände legen. An dieser Stelle sei es uns erlaubt, den beiden sowie dem VVPA für die grossen Verdienste um die Erhaltung des schönen, alten Brauches herzlich zu danken. Die Pflege solchen Brauchtums ist gerade in der heutigen Zeit der Orientierungslosigkeit und irgendwie auch Heimatlosigkeit zur Findung der Identität der Dorfbewohner in ihrer Wohngemeinde sehr wichtig.